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Kirche hat Chancen: in der Öffentlichkeitsarena der Zivilgesellschaft.

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Michael N. Ebertz

 

Geschichte

Entstehung

Anfangs der Sechzigerjahre begann im St. Johannquartier der evangelisch-reformierte Pfarrer Felix Tschudi im Rahmen der kirchlichen Berufsgruppenarbert mit Arbeiter- und Industriekursen. Daraus entwickelte sich ein ökumenisches Gespräch zwischen Kirchenvertretern und führenden Vertretern der Basler Chemischen Industrie. Von katholischer Seite war daran Pfarrer Andreas Cavel-ti beteiligt. 1969 konnten die beiden Pfarrer einen ersten «Pfarrerkurs für Industriefragen» mit 25 Teilnehmenden bei der damaligen J.R. Geigy AG durchführen. Aus den gewonnenen Erfahrungen entstand die Idee, die zum ökumenischen Pfarramt für Industrie und Wirtschaft führte. 1970 beschlossen die evangelisch-reformierten Kirchen Basel-Stadt und Basel Landschaft die Schaffung eines Industriepfarramtes. 1971 erfolgte die Einsetzung von Pfarrer Felix Tschudi als erstem Amtsträger. 1974 beschlossen auch die römisch-katholische Kirchen Basel-Stadt und Basel Landschaft die Errichtung eines Pfarramts für Industrie und Wirtschaft und wählten Dr. Josef Bieger-Hänggi als ersten Amtsträger.

Brückenschlag

Die vollamtliche Tätigkeit eröffnete neue Möglichkeiten für die Aufgaben, welche die Träger-Kirchen definiert hatten. In der Arbeitswelt engagierten sich die beiden Amtsträger als sachkundige Gesprächspartner in sozial- und wirtschaftsethischen Fragen und entfalteten eine rege Kurs- und Referatstätigkeit in Wirtschaftsverbänden, Berufsschulen und Unternehmen. In den Pfarreien und Gemeinden förderten sie das Verständnis in Fragen um Arbeit, Beruf, Konsum und gesellschaftlichem Leben. Mit Betriebsseminaren und Fortbildungsangeboten für Seelsorgerinnen und Seelsorger leisteten sie Beiträge zum besseren Verstehen wirtschaftlicher Zusammenhänge.

Am Puls der Zeit

Gemeinsames Bemühen war für die Industriepfarrämter wegleitend. Es führte 1976, als Rezession und Arbeitslosigkeit in der Schweiz wieder zu bekannten Begriffen wurden, zur Gründung der «Ökumenischen Genossenschaft Arbeitshilfe» - «Overall». 1981 erfolgte die Pensionierung von Pfr. F. Tschudi, sein Amt übernahm im darauf folgenden Jahr Pfr. Paul Luterbacher. 1983 wurde als weiteres exemplarisches Projekt die Stiftung «Arbeitslosenrappen» mit Unterstützung der Industriepfarrämter geschaffen. Im Jahr darauf konnte als drittes Projekt die «Bachstube 84» an der Oetlingerstrasse realisiert werden. Die immer engere ökumenische Zusammenarbeit führte 1984 zum Entschluss eine Bürogemeinschaft zu bilden. Im Anbau des Pfarrhauses von St. Joseph an der Amer-bachstrasse fanden sich dazu geeigneten Räume. Es kam bestimmt nicht von ungefähr, dass man sich im unteren Kleinbasel installierte. Wo anders wohl konnte das Industriepfarramt näher am Puls der Zeit sein, sich einsetzen um Brücken zwischen Kirche und Arbeitswelt zu schlagen?

Frauen und Arbeit

In den Jahren 1989/90 wurde das katholische Industriepfarramt durch Hildegard Wörz Strauss, Pastoralassistentin, unterstützt. Es war eine bereichernde Mitarbeit. Es war gleichzeitig ein vielversprechender Anfang für eine gezielte Ausrichtung auf die Situation und die Probleme der Frauen in der Arbeitswelt. Nicht nur Frauenfragen als ein Jahresschwerpunkt, sondern auch die spezifisch frauliche Sicht der Arbeitswelt haben seither einen wichtigen Platz in der Tätigkeit des Industriepfarramtes erhalten.

Zusammenrücken

Die in zwanzig Jahren in den konfessionell getrennten Industriepfarrämtern gewonnen Erfahrungen und die Überzeugung, dass ein gemeinsames Auftreten der katholischen und reformierten Amtsträger wirksamer wäre, führten nach intensiven Beratungen zum Entschluss der vier Landeskirchen, ein gemeinsames ökumenisches Pfarramt zu schaffen. Nach Unterzeichnung des entsprechenden Vertrags durch die zuständigen Organe wurden die beiden Aufsichtsgremien Ende 1992 aufgelöst. Im Januar 1993 konstituierten sich die Delegierten der Partnerkirchen in der Leitenden Kommission des von nun an gemeinsam auftretenden Ökumenischen Pfarramts für Industrie und Wirtschaft.

Stabübergabe

Nach 18 Jahren engagiertem Einsatz im Pfarramt für Industrie und Wirtschaft wollte sich Dr. J. Bieger Ende 1993 neu orientieren. An seine Stellen traten im Frühjahr 1994 die Theologin Irene B. Richheimer und der Theologe und Betriebsökonom Alex Wyss-Scholz. Auf das neue Team warteten vielfältige Aufgaben. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz erreichte einen Höhepunkt. Betroffen waren in besonderem Masse Jugendliche und Frauen. Fusionen und Restrukturierun-gen sowie die vielfältigen menschlichen Folgen dieser Prozesse erforderten auch vom Pfarramt für Industrie und Wirtschaft besondere Massnahmen. Dabei konnte man auf die Erfahrung von Pfr. P. Luterbacher zählen. 1996 entstand mit Unterstützung des Industriepfarramts «Tischlein deck dich». Auch das Beziehungsnetz zwischen Kirche und Wirtschaft musste zum Teil neu geknüpft werden, denn Reorganisationen und viele Frühpensionierungen hatten zu manchen Veränderungen geführt.

Ein aktualisiertes Konzept

Im Blick auf die 1998 bevorstehende Pensionierung von Pfr. Luterbacher ergriff die Leitende Kommission die Gelegenheit, die Erfahrungen der Amtsträger auszuwerten und darauf aufbauend ein aktualisiertes Konzept für die zukünftigen Tätigkeitsbereiche, Zielgruppen und Schwerpunkte zu erarbeiten. Da auch Diakon A. Wyss und Irene B. Richheimer neue Aufgaben übernehmen wollten, gart es, eine komplett neue Stellenleitung zu wählen. Die Stellenausschreibung zeigte ein grosses, weit über die Region hinausgehendes Interesse. Nach zahlreichen Bewerbungsgesprächen konnte die Leitende Kommission von katholischer Seite Dr. Gabriele Kieser und von reformierter Seite Pfr. Dr. Lukas Kundert den Trägerkirchen zur Wahl vorschlagen.

Neustart

Mit viel Elan nahmen die beiden Amtsinhabenden ihre Aufgabe in Angriff. Neue Beziehungen zu Frauen und Männern, zu Verbänden, Gewerkschaften und Organisationen der Arbeitswelt sowie zu Pfarreien und Kirchgemeinden wurden geknüpft. Im Bereich Arbeitslosigkeit konzentrierte sich die Tätigkeit auf Fragen der Integration von Langzeitarbeitslosen, auf Beratungen von Organisationen, Politikern/Politikerinnen und der Betroffenen. Einen anderen Schwerpunkt bildete der neu aufgenommene Unterricht in
Wirtschaftsethik am Wirtschaftsgymnasium Basel.

Die Zeit des vorläufigen Umzugs an den Lindenberg bedeutete für die Tätigkeit des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft keine Zäsur. Im Gegenteil, im Haus «Zum stillen Wind», in Tuchfühlung mit der Gassenküche, entstand Neues, so etwa die Beratungsstelle TIME-OUT, ein Ort der Unterstützung für Menschen in Krisensituationen. Neu konstituierte sich ein aus den Landeskirchen und der Wirtschaft zusammengesetztes Forum «Kirche und Wirtschaft im Gespräch». Am 24. Mai 2002 konnte das neue, alte Domizil an der Amerbachstrasse bezogen werden. Im Herbst 2004 demissionierte Pfr. Dr. L. Kundert nach seiner Wahl zum Präsidenten des Kirchenrates der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt. Als sein Nachfolger wurde Pfr. Martin Stingelin gewählt und am 22. Oktober in sein Amt eingesetzt.

Autor: Rico Jenny